Social Media − Steuern Sie schon oder experimentieren Sie noch? (Teil 2)

Das Für und Wider zentraler Social Media Kennzahlen

Es gibt je nach sozialem Medium und Anzahl der Kanäle, die Sie bespielen, eine große Menge an Kennzahlen, die prinzipiell für die Performance-Messung und Steuerung von Social Media Aktivitäten in Frage kommen.


Im Folgenden stelle ich Ihnen eine Auswahl von gängigen, aussagekräftigen und Business-relevanten KPI vor und würdigen sie kritisch im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die Steuerung von Social Media Aktivitäten.


Bitte beachten Sie dabei, dass es sich hier um eine verallgemeinernde Auswahl handelt, und dass je nach individueller Business-Anforderung − oder wenn Sie mit weniger populären Sozialen Netzwerken arbeiten − auch ganz andere Kennzahlen für Sie relevant sein könnten.

1. Fans/Follower

Relativ einfache und leicht aus den Statistiken der jeweiligen Plattformen auslesbare Kennzahlen sind die Anzahl von Fans (Facebook) und die Anzahl von Followers (Twitter):

  • Fans (Facebook): Kennzahl für die Anzahl von Fans der Fanpage eines Unternehmens, einer Marke etc., die Beiträge dieser Fanpage abonniert haben
  • Followers (Twitter): Kennzahl für die Anzahl von Followern, die einem Account folgen, also Tweets dieses Accounts abonniert haben

Die zeitliche Entwicklung der Anzahl von Fans bzw. Followers kann z. B. als KPI für das Business-Ziel „Steigerung der Kundenbindung“ definiert werden.

 

Beispiel KPI-Formel

Das IT-Unternehmen AppSun hat auf Twitter im März 2017 4.000 Follower, im April 2017 4.100 Follower. Die Anzahl der Follower ist damit um 2,5% gestiegen.

Entwicklung der Follower (%) = (Anzahl der Follower (Monat X) : Anzahl der Follower (Monat Y)) - 1

Diese relativ einfache Kennzahl hat jedoch den Nachteil, dass der prozentuale Zuwachs bei einer niedrigen Ausgangsbasis (also wenn ein Account neu gelauncht wird) deutlich höher ausfällt, als wenn ein Account bereits seit einigen Jahren bespielt wird. Sättigungseffekte und auch saisonale Effekte, z. B. durch das Weihnachtsgeschäft, sollten also bei der Interpretation solcher Kennzahlen immer mitberücksichtigt werden.

2. Reichweite

Eine ebenfalls sehr gängige Kennzahl ist die Reichweite des Facebook-Profils oder Twitter-Accounts:

  • Reichweite (Facebook): Die Anzahl eindeutiger Besucher, die einen Beitrag einer Facebook-Seite gesehen haben. (Nicht zu verwechseln mit „Impressionen“, die angeben, wie oft ein Beitrag angezeigt wird, wobei ein Beitrag, den ein Nutzer mehrfach gesehen hat, auch mehrfach gezählt wird)
  • Reichweite (Twitter): Anzahl der direkten Follower (Leser) sowie die Anzahl der potenziellen Leser der Retweets

Problematisch an diesen Kennzahlen ist, dass viele Accounts/Profile nur sporadisch genutzt werden, es zahlreiche Fake-Profile gibt und dass man Fans/Follower auch kaufen kann, so dass es häufig schwer zu unterscheiden ist, wie viele reale Personen einem Unternehmen wirklich folgen oder Fan von ihm sind.

3. Buzz

Buzz bezieht sich auf die Wahrnehmbarkeit eines Unternehmens und seine Reichweite in sozialen Medien. Als Kennzahl beschreibt Buzz, wie häufig ein Unternehmen in sozialen Netzwerken innerhalb eines bestimmten Zeitraums erwähnt wird, und zwar anhand von Beiträgen (z. B. Shares, Likes, Kommentaren).

 

Buzz unterscheidet nicht zwischen positiven, neutralen und negativen Nennungen/Beiträge, so dass bspw. auch unerwünschte Nutzerreaktionen (vgl. Shitstorm) den Buzz deutlich erhöhen können. D. h. um qualitative Aussagen zu erhalten, sollte die Kennzahl Buzz mit einer Sentiment-Analyse verknüpft werden.

 

Beispiel KPI-Formel

Das IT-Unternehmen AppSun wird auf Facebook im März 2017 1.000 mal erwähnt, im April 2017 1.500 mal. Das Buzz-Volumen ist um 50% gestiegen. Eine Sentimentanalyse ergibt, dass der Anteil negativer Beiträge von 10% auf 30% gestiegen ist. Unter den 10 Top-Nennungen findet sich im Juni erstmals das Wort „Service“. Die Analyse bestätigt aktuelle Probleme im Kundenservice.

Entwicklung Buzz-Volumen (%) = (Anzahl Erwähnungen Brand (Monat X) : Anzahl Erwähnungen Brand (Monat Y)) – 1

Die Entwicklung des Buzz-Volumens ist ein möglicher KPI, um die über mehrere Social-Media-Kanäle aggregierte Reichweite im Zeitvergleich zu messen. Damit ist Buzz auch eine Alternative zur oben beschriebenen Reichweiten-Ermittlung. Und zwar bezogen auf konkrete Interaktionen der Zielgruppe mit dem Unternehmen, und nicht nur im Zusammenhang mit dem bloßen Ausspielen von Beiträgen in die Newsfeeds der Zielgruppe.

 

Damit wird diese Kennzahl dem Charakter von Social Media, nämlich sich auszutauschen, viel eher gerecht als die Kennzahl Reichweite. Denn Reichweite-Zahlen können in manchen Fällen dazu verführen, soziale Medien als reinen PR-Kanal für News zu nutzen, und nur wenig Zeit und Geld zu investieren, um mit der Zielgruppe ich echte Interaktion zu treten.


Eine Sentimentanalyse, d. h. eine Aufteilung in positive und negative Nennungen, gibt Aufschluss darüber, ob sich hinter einem erhöhtem Buzz-Volumen begeisterte Fans oder Beschwerden verbergen, die das Ansehen der Marke oder des Unternehmens dauerhaft schädigen können. Social Media Monitoring Tools können hierbei als Frühwarnsysteme fungieren. Viele dieser Tools bieten individuell anpassbare Alert-Funktionen, die Verantwortliche frühzeitig benachrichtigen und es ihnen ermöglichen, rechtzeitig einzugreifen und möglichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden.

4. Share of Buzz

Diese Kennzahl misst, wie groß der Anteil eines Unternehmens am Buzz ist im Vergleich zum Gesamtmarkt. Sie bezieht sich insbesondere auf das Diskussionsvolumen zu bestimmten Themen, die für das Unternehmen wichtig sind, z. B. bestimmte Produkte oder Produktkategorien.

 

Beispiel KPI-Formel

Das Thema Cloud Computing wird in Verbindung mit Unternehmen auf Facebook im März 2017 insgesamt 2.000mal genannt. In Verbindung mit AppSun wird es 50mal erwähnt. Damit hat AppSun einen Share of Buzz von 2,5% bezogen auf den „Gesamtmarkt“ in Facebook.

Share of Buzz (%) = Anzahl der eigenen Brand-Erwähnungen : Anzahl der Erwähnungen aller Brands (eigenes Brand + Wettbewerber-Brands) im jeweiligen Markt

Als KPI gibt der Share of Buzz frühzeitig Hinweise über Veränderungen im Markt und in der Wettbewerberkommunikation. Außerdem kann er Anhaltspunkte liefern, ob Produkte oder auch produktbezogene Kommunikationsaktivitäten verbesserungsbedürftig sind. Für konkrete Verbesserungsansätze sind allerdings detailliertere Analysen erforderlich, z. B. die inhaltliche Auswertung von Nutzer-Kommentaren oder -Bewertungen.

5. Engagement Rate

Eine treue und engagierte Community trägt zur Markenbekanntheit bei. Die Engagement-Rate zeigt an, wie engagiert die eigene Community ist, und zwar bezogen auf die Reichweite (vgl. 2.). Zum Engagement zählen Interaktionen bzw. Reaktionen, z. B. ein Klick auf einen Link, Liken, Teilen, Kommentieren, Retweeten oder Tweets, die die Marke konkret ansprechen (@-Mentions).

 

Beispiel KPI-Formel

100 Facebook-Fans haben einen Beitrag von AppSun gesehen. 10 davon haben ihn gelikt, 2 davon kommentiert. Das heißt der Beitrag hat eine Engagement-Rate von 12% erzielt.

Engagement Rate (%) = Anzahl der Reaktionen : Reichweite

Die Engagement Rate zeigt, wie gut bestimmte Botschaften bei der Zielgruppe ankommen. Daraus lassen sich Rückschlüsse über die Interessen der Zielgruppe und Learnings für die weitere Kommunikation gewinnen. Die Kennzahl findet man unter Statistik/Analyse auf Facebook, Twitter, LinkedIn etc.


Um herauszufinden, welche Themen für die Zielgruppe interessant sind, kann man sich z. B. auf Facebook unter „Veröffentlichte Beiträge“ zu jedem Beitrag die Interaktionsrate anschauen. Eine hohe Interaktionsrate bedeutet, dass ein Beitrag hinsichtlich seiner Inhalte und seiner Tonalität bei den Nutzern besondere Aufmerksamkeit und Resonanz gefunden hat. Untersucht man die Beiträge mit den höchsten Interaktionsraten, so erhält man Hinweise auf Themen, Ansprache-Formate etc. , die besonders gut ankommen, und kann diese als Input für die Redaktion weiterer Beiträge nutzen.

6. Active Advocates

Im sozialen Netz gibt es prinzipiell zwei Arten von Multiplikatoren, die Unternehmen dabei unterstützen, die Bekanntheit ihrer Produkte zu steigern und ein positives Image aufzubauen:

  • Influencer: Personen, die über ihr Profil zahlreiche Fans/Follower haben und eine hohe Reichweite in sozialen Medien erzielen, jedoch meist eine finanzielle Gegenleistung für ihre Empfehlungen verlangen.
  • Advocates: Personen, die sich aus Überzeugung für ein Produkt, eine Marke oder ein Unternehmen einsetzen und statt finanzieller Gegenleistungen eher Aufmerksamkeit und Anerkennung wünschen.

Während man über Influencer schnell Reichweite erzielen kann, dauert dies über Advocats etwas länger, doch sind solche Beziehungen glaubwürdiger und nachhaltiger.

 

Doch wie identifizieren Sie Advocates für Ihr Unternehmen? In Facebook z. B. findet man in „Statistik“ unter „Besucher“ die Ansicht „Besucherdemografie“ und außerdem Statistiken zu „Erreichte Personen“. Daraus können Sie erste Anhaltspunkte ableiten, um mögliche Advocates zu charakterisieren, z. B. im B2B nach Unternehmensgröße, Unternehmensbereich, Branche, Funktion, Geschlecht, Land, Stadt oder Sprache. Sobald Sie Ihre Advocats grob geclustert haben, z. B. nach Kriterien wie Journalist, Fach-Blogger oder Management Level, externe Berater, Analysten etc., schauen Sie in Ihre Beiträge des letzten 6 Monate hinein und analysieren Sie diese nach folgenden Kriterien: Welche Personen liken, teilen, retweeten, repinnen etc. und kommentieren und verlinken Ihre Beiträge?


Anschließend erstellen Sie eine Liste dieser Personen und tracken monatlich deren Interaktionen entlang der sozialen Medien, die Sie bespielen. Anstelle eigener Listen können Sie auch Tools nutzen, wie Facebook Insights, Twitter Insights oder bestimmte Social Media Monitoring Plattformen, um die Interaktionen Ihrer Fans auszuwerten.

 

Die Top 10 oder 20 Prozent, die über einen definierten Zeitraum am meisten interagiert haben, sind Ihre Brand Advocates. Auf Basis dieser Personen lässt sich nun ein KPI definieren, die Active Advocate Quote. Dieser KPI misst, wie aktiv die eigenen Fürsprecher monatlich sind. Er eignet sich z. B. als Messgröße für das Ziel „Neukundengewinnung“, da positive Äußerungen oder Bewertungen von Produkten die Kaufwahrscheinlichkeit bei potenziellen Käufern, die nach einem bestimmten Produkt suchen, erhöhen.

 

Beispiel KPI-Formel

AppSun hat 20 identifizierte positive Fürsprecher. Im März 2017 haben sich davon 5 in Beiträgen positiv über das Unternehmen geäußert. Daraus ergibt sich eine Active Advocate Quote von 25%.

Active Advocate Quote (%) = Active Advocates (Monat X)  : Gesamtzahl der Advocates

Die Active Advocate Quote dient dazu, den Kontakt zu den eigenen Fürsprechern konstant aufrechtzuerhalten und weiter zu intensivieren. Dieser KPI passt zu dem, was Social Media ausmacht: der authentische, ehrliche und glaubwürdige Austausch unter Nutzern. Dadurch entsteht Vertrauen zu einer Marke, und im Wettbewerb heute ist Vertrauen das wertvollste Gut eines Unternehmens.

7. Herausforderungen bei der Interpretation von Social Media KPI

Um in sozialen Medien schnell Sichtbarkeit zu erzielen, gibt es im Netz zahlreiche Anbieter, bei denen man Fans/Follower für die eigene Social Media Präsenz zukaufen kann. Auch Likes, Bewertungen und sogar Kommentare lassen sich inzwischen käuflich erwerben.


Hinzu kommt: Nach der Invasion von Bots bei Email (Spam) und in der Online-Werbung (Fraud) hat die systematische maschinelle Täuschung inzwischen auch Social Media erreicht ((vgl. Horizont 47/2016).  Die sogenannten Social Bots sind Computerprogramme, die in sozialen Medien automatisch und selbständig auf Posts, Tweeds oder ähnliches mit vorgefertigten Informationen reagieren. Inzwischen steuern sie sogar in Shops wie Amazon oder Zalando Produkt-Rezensionen bei. Solche Resonanz-Betrügereien sind bislang selbst durch Filterwerkzeuge von Social-Media-Monitoring-Plattformen schwer zu erkennen.


Dies bedeutet, dass die vermeintlich exakten Daten zu Reichweite und Buzz von Kommunikation teilweise weit überschätzt werden. Social-Media-Daten und Kennzahlen sollten daher immer im Gesamtkontext und im Vergleich mit Daten aus anderen Kanälen, z. B. mit Print- oder Website-Daten auf ihre Plausibilität hin überprüft werden.


Für den Gesamtkontext ist es wichtig, dass eine Social Media Strategie vorhanden ist, in der festgelegt ist, mit welchen Kanälen und mit welchen Inhalten welche Zielgruppen und Kommunikationsziele erreicht werden sollen. Und dass neben Social Media Aktivitäten auch andere Web-Aktivitäten (SEA, Display-Werbung etc.) sowie möglichst alle Offline-Maßnahmen regelmäßig auf ihren Erfolg hin getrackt werden.

 

Wenn Sie im Marketing über ein solches systematisches Steuerungsinstrument für die Maßnahmen-Performance verfügen, können Sie Zahlen in ihren Wechselwirkungen analysieren und  daraus plausible Verbesserungen für die On- und Offline-Aktivitäten abgeleiten – eine komplexe, keineswegs einfache, aber dauerhaft lohnende Aufgabe. Denn damit können Sie mit weniger Budget mehr Wirkung erzielen, die Kundenbindung verbessern, leichter Neukunden gewinnen und den Erfolgsbeitrag von Marketing zum Unternehmenserfolg nachweisen.

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